Editorial: Schreibdidaktik und Hochschuldidaktik – ein zukunftsfähiges Paar
Wissenschaftliches Schreiben ist eine anspruchsvolle Tätigkeit, gilt als Selbstverständlichkeit in jedem Fachstudium und erweist sich gleichzeitig immer wieder als Herausforderung für Studierende, Lehrende und Forschende. Wer wissenschaftlich schreiben will, muss über vielfältiges Wissen verfügen und dieses gekonnt umsetzen. Genannt seien hier nur Fachkenntnisse, Wissen über Textsorten und -konventionen, Erfahrung in der jeweiligen Diskursgemeinschaft und handwerkliche Fähigkeiten, einen Text zu produzieren – mit allen dazu erforderlichen Überarbeitungsschleifen.
Im vergangenen Jahr wurde dem wissenschaftlichen Schreiben viel Aufmerksamkeit zuteil – leider nicht, um die Bedeutsamkeit des Schreibens und Schreiben-Könnens mal bewusst hervorzuheben, sondern weil eine neue Technologie bisherige Gewissheiten und Gewohnheiten im Umgang mit dem wissenschaftlichen Schreiben ins Wanken gebracht hat: generative Künstliche Intelligenz (KI). Mit dem Chatbot ChatGPT ist diese seit Beginn des Jahres 2023 prinzipiell für jede Person verfügbar. Diese Neuerung hat zusätzliche Fragen aufgeworfen: Soll man das wissenschaftliche Schreiben überhaupt noch erlernen, Schreibkompetenz weiter ausbauen oder erhalten, wenn generative KI Schreibaufgaben in einer wachsenden Qualität übernehmen kann? Wie kann wissenschaftliches Schreiben an Universitäten in Zeiten von KI weiterhin gefördert werden und warum ist das sinnvoll?
Schreiben ist ein komplexer kognitiver wie auch emotional-motivationaler Prozess; in diesem Sinne ist Schreiben zunächst ein individueller Akt. Gleichzeitig lässt sich das Schreiben auch als eine soziokulturelle Errungenschaft und Anforderung deuten: Wer das akademische Schreiben in einer Fachwissenschaft erlernt, entwickelt im Zuge dessen eine Identität als Mitglied der Fachgemeinschaft.
Es kann als belegt gelten, dass wissenschaftliches Schreiben erlernbar ist; es muss allerdings gezielt und intensiv geübt werden. Dafür gibt es die Schreibdidaktik, die sich an vielen Universitäten etabliert hat – etwa in Form eigener Einrichtungen. Schreibdidaktische Einrichtungen können für das Thema grundsätzlich sensibilisieren, Anlaufstelle für die individuelle Beratung Studierender sein, spezifische schreibdidaktische Lernangebote machen und Schreibevents ausrichten. Zu einer gelungenen Schreibdidaktik gehört darüber hinaus die hochschuldidaktische Aufgabe, Lehrpersonen dabei zu unterstützen, das Schreiben in Veranstaltungen zu integrieren. Möglich ist das unter anderem, indem man Schreibaufgaben in die Fachlehre einbindet, die darauf abzielen, fachliches Lernen und wissenschaftliches Schreiben zu verknüpfen.
Von der Hochschuldidaktik aus betrachtet, kann man wiederum schreibdidaktische Fragestellungen nicht außer Acht lassen. Die Art des Schreibens und Publizierens ist Teil fachwissenschaftlicher Forschungsprozesse, verknüpft mit Normen und Konventionen, die mit dem Schreiben (im Idealfall) angeeignet werden. In diesem Sinne ist das Schreiben eng verwoben mit dem fachwissenschaftlichen Denken und Handeln.
Die Universität Hamburg verfügt seit vielen Jahren schon über ein eigenes Schreibzentrum. Die dort tätigen Schreibdidaktiker:innen sind nicht nur in der Lage, fachübergreifende Schreibkompetenzen zu fördern; sie können auch auf ein weites Spektrum fachwissenschaftlicher Besonderheiten eingehen und sind in die Fakultäten vernetzt. Seit September 2023 ist das Schreibzentrum Teil des Hamburger Zentrums für Universitäres Lehren und Lernen (HUL). Diese Integration ermöglicht eine enge Zusammenarbeit zwischen Schreib- und Hochschuldidaktik. Das sehen wir als gute Voraussetzung, um wissenschaftliches Schreiben als individuelles und soziales Handeln zu unterstützen sowie verschiedene Ansatzpunkte bei Studierenden und Lehrpersonen zu verfolgen und miteinander zu verzahnen.
Auch mit Blick auf generative KI und die damit verbundenen Herausforderungen für das wissenschaftliche Schreiben ist das eine Chance: Gemeinsam hoffen wir, die Zukunft der akademischen Schreibkultur mitgestalten und dazu beitragen zu können, einen verantwortungsvollen Umgang mit generativer KI beim wissenschaftlichen Schreiben zu erproben und zu fördern.
Gabi Reinmann und Carla Bohndick
Weiterführende Literatur:
Limburg et al. (2023). Zehn Thesen zur Zukunft des Schreibens in der Wissenschaft. URL: https://hochschulforumdigitalisierung.de/sites/default/files/dateien/HFD_DP_23_Zukunft_Schreiben_Wissenschaft.pdf
Scharlau, I., Karsten, A., Haacke, S. & Lahm, S. (2021). Schreiben als Schlüsselkompetenz? In: R. Kordts-Freudinger, N. Schaper, A. Scholkmann & B. Szczyrba (Hrsg.), Handbuch Hochschuldidaktik (S. 129-138). Bielefeld: wbv.
LEHRE WEITERDENKEN
Hands-on Schreiben: Tipps und Methoden vom Schreibzentrum
Fachspezifisches Schreiben am Schreibzentrum: Jetzt und in Zukunft
Das Schreibzentrum der Universität Hamburg bietet seit seiner Gründung 2017 konzeptionell sowohl grundlegende überfachliche Unterstützung im Schreibprozess und zu methodischen Grundlagen des wissenschaftlichen Schreibens an als auch für fachspezifische Anliegen. Das Schreibzentrum unterstützt Studierende in ihren Schreibprozessen und bildet eine Brücke zwischen den Schreibkenntnissen der Studierenden und den fachwissenschaftlichen Anforderungen der Lehrenden. Im Folgenden stellen wir die aktuelle Situation im Hinblick auf diesen Brückenschlag und eine mögliche zukünftige Weiterführung des Konzepts vor.
Gemeinsam statt einsam: Moderierte und strukturierte Schreibzeiten im Umfeld des HUL
Gemeinsame Schreibzeiten sind ein wichtiger Baustein im schreibdidaktischen Angebot. Auch am HUL haben wir uns in den letzten Jahren in verschiedenen Kontexten mit gemeinsamen Schreibzeiten beschäftigt. Für dieses Interview habe ich daher vier Gesprächspartnerinnen ausgesucht, die Erfahrung in der Gestaltung gemeinsamer Schreibzeiten haben und die mir von den Vorteilen und den Voraussetzungen für gemeinsame Schreibzeiten berichten.
Auf Augenhöhe: Peer-Unterstützung beim wissenschaftlichen Schreiben
Schreibdidaktische Angebote lassen sich durch Peer-Formate umsetzen und erweitern. An der Universität Hamburg werden Peers zur Schreibunterstützung in drei Variationen eingesetzt. Peer-Schreibberater:innen, TextTutor:innen und geschulte Fachtutor:innen unterstützen Schreibende auf Augenhöhe und fördern eine offene Schreibkultur.
weitere Empfehlungen
Kurze Hinweise
Decoding the Disciplines Gruppe gestartet!
Decoding the Disciplines ist ein Ansatz, der Lehrpersonen zur Reflexion ihrer Hochschullehre anregt, um sie weiterzuentwickeln. Ausgangspunkt eines Decoding-Prozesses sind „student learning bottlenecks“, also Aufgaben im Studium, die viele Studierende nicht bewältigen können. Beim Decoding-Interview identifizieren Lehrpersonen als Expert:innen ihres Fachs diese „Flaschenhälse“ und machen ihre Denkschritte explizit, mit denen sie selbst die Aufgaben lösen, die Studierenden Schwierigkeiten bereiten.
Der Ansatz wurde ursprünglich von Joan Middendorf und David Pace von der Indiana University entwickelt und findet weltweite Verbreitung. Wir hatten im November 2023 David Pace für einen Workshop zu Gast, bei dem er die Grundlagen für ein solches Decoding-Interview vermittelt hat. Das Video zum Vortrag finden Sie hier.
Da es sich um eine spezielle Art der kollegialen Beratung handelt, haben wir mit Interessierten aus dem Workshop eine eigene Decoding-the-Disciplines-Gruppe an der Universität Hamburg gestartet. Am 14.02.2024 fand das Auftakttreffen statt. Alle 2-3 Monate treffen wir uns, um Bottlenecks zu identifizieren, Decoding-Interviews zu führen und uns zu schwierigen Lehrsituation kollegial zu beraten. Interessierte sind herzlich willkommen. Die nächsten Termine finden Sie hier und unter HUL-Kolloquien.
Digitale Ressourcen für Ihre Lehre
Liebe Lehrende der Universität Hamburg,
haben Sie schon die neuen Seiten für Lehrende entdeckt? Besuchen Sie uhh.de/lehrende und finden Sie alle wichtigen Informationen zur Lehre an unserer Universität übersichtlich auf einer Seite. Von Selbstlernmaterialien und Lehrbeispielen bis hin zu Einrichtungen, Portalen und Ausschreibungen – diese Zusammenstellung bietet Ihnen nun einen effizienten Zugang zu relevanten Informationen rund um die Lehre an der UHH.
Besuchen Sie außerdem den Lehre-Navi unter uhh.de/lehre-navi, der einen neuen Zugang zu zahlreichen Selbstlernmaterialien rund um die (digitale) Lehre ermöglicht. Von didaktischen Grundlagentexten bis hin zu praktischen Lehrtechnik-Tutorials und aktuellen Themen wie generativer KI steht Ihnen hier ein großer Fundus von überwiegend an der Universität Hamburg erstellten Texten, Podcasts und Videos zur Verfügung. Mit dem Lehre-Navi möchten wir den Austausch und die kontinuierliche Weiterentwicklung in der Lehre an unserer Universität mitfördern. Schauen Sie doch mal rein!
Weiterentwicklung der hochschuldidaktischen Zertifikate der UHH
Nachdem wir in den vergangenen sechs Jahren weit über 200 hochschuldidaktische Zertifikate ausgegeben haben war es an der Zeit, dieses Angebot mal „in die Inspektion zu fahren“ und zu prüfen, welche Angebote fortgesetzt, modifiziert und auch abgesetzt werden. Und so haben wir bereits im vergangenen Jahr einige Veränderungen und Weiterentwicklungen vorgenommen. Neben dem bewährten hochschuldidaktischen (Basis-)Zertifikat haben wir sukzessive vier neue, lehrbezogene Formate eingeführt, die sich Lehrende der Universität Hamburg zertifizieren lassen können. Sie basieren nicht, wie bisher, ausschließlich auf der Teilnahme an Workshops. Vielmehr werden Lehrende darin begleitet, ihre forschungsorientierte Lehre, ihre Lehrforschung (Scholarship of Teaching and Learning) und/oder ihre Lehrentwicklung in Portfolios und Publikationen zu reflektieren und anderen Interessierten zugänglich zu machen. Darüber hinaus haben wir ein Angebot verstetigt, das sich ganz gezielt an Kolleginnen und Kollegen richtet, die neu in der Lehre sind und sich in Workshops und einer semesterbegleitenden Gruppe in dieser neuen Aufgabe einfinden möchten.
Damit möchten wir zum einen den zunehmend diversen inhaltlichen Anforderungen unserer Zielgruppe entsprechen und zum anderen auch den sich wandelnden Wünschen an Qualfizierungsformate (Workshop, Selbststudium, zeitliche und räumliche Flexibilität, Beratung durch hochschuldidaktische Expertinnen und Experten) gerecht werden. Näheres hier
Das DDLitLab geht in die Verlängerung!
Seit 2021 stärkt das DDLitLab u.a. mit innovativen Lehrangeboten die Digital- und Datenkompetenzen von Studierenden und Lehrenden. Nun ist es sicher: das Projekt, an dem auch das HUL beteiligt ist, wird bis Dezember 2025 weiter von der Stiftung Innovation in der Hochschullehre gefördert. Im besonderen Fokus steht dabei generative KI als zentrale Entwicklung im Bereich der Data Literacy. -> zur vollständigen Meldung
Veranstaltungstipps
- Mi, 21.02.2024, 9:00-10:00 Uhr
Smarte Helferlein: KI-Chatbots bei der Veranstaltungsvorbereitung nutzen - Fri., 23/02/2024, 9:00am-10:00am
Elevating Student Engagement: Strategies for Active Learning
(This websession will be held in English) - Mi, 20.03.2024, 9:00-10:00 Uhr
Interaktiv und ansprechend: Mitmach-Skripte verwenden
Weitere fundierte, praxisnahe Qualifizierungs- und Unterstützungsangebote wie Websessions, Workshops, hochschuldidaktische Beratungen und das Praxisnetzwerk Lehre finden Sie am HUL und über den Lehre-Navi der UHH.
Publikationen
Bohndick, C. (2023). Forschung zu akademischer Integration und akademischer Passung als Perspektive für die Wissenschaftsdidaktik. In G. Reinmann & R. Rhein (Hrsg.), Wissenschaftsdidaktik III (Wissenschaftsdidaktik, Bd. 3, S. 13–32). Bielefeld, Germany: transcript Verlag. https://doi.org/10.14361/9783839462966-002
Bohndick, C. (2023). Möglichkeiten für die empirische Rechtsdidaktik aus Perspektive der empirischen Hochschulbildungsforschung. https://doi.org/10.25527/re.2023.21
Breetzke, J., Özbağcı, D., & Bohndick, C. (2023). “Why are we learning this?!” - Investigating students’ subjective study values across different disciplines. Higher Education. Advance online publication. https://doi.org/10.1007/s10734-023-01075-z
Eimer, A., & Bohndick, C. (2023). Employability models for higher education: A systematic literature review and analysis. Social Sciences & Humanities Open, 8(1), 100588. https://doi.org/10.1016/j.ssaho.2023.100588
Mayweg, E., Enders, N., Bohndick, C., & Rückmann, J. (2023). Online, blended oder Präsenz? Ein systematisches Literaturreview von Metaanalysen zur Effektivität hochschulischer Lehrformate. ZeHf – Zeitschrift Für Empirische Hochschulforschung, 7(1-2023), 96–122. https://doi.org/10.3224/zehf.v7i1.07
Özbağcı, D., Breetzke, J., & Bohndick, C. (2023). How do social and academic integration develop over time? Longitudinal analyses of differences based on students’ sociodemographic background. European Journal of Higher Education, 1–21. https://doi.org/10.1080/21568235.2023.2279133
Reinmann, G. & Rhein, R. (Hrsg.) (2023). Wissenschaftsdidaktik III. Perspektiven. Bielefeld transcript.
Reinmann, G. & Watanabe, A. (2024). KI in der universitären Lehre: Vom Spannungs- zum Gestaltungsfeld“. In G. Schreiber & L. Ohly (Hrsg.), KI:Text: Diskurse über KI-Textgeneratoren, (S. 29-46). Berlin: De Gruyter.
Reinmann, G. & Vohle, F. (2023). Wie Wissenschaftsdidaktik die Hochschuldidaktik verändern könnte. In G. Reinmann & R. Rhein (Hrsg.), Wissenschaftsdidaktik III. Perspektiven (S. 253-276). Bielefeld: transcript.
Reinmann, G. & Rhein, R. (2023). Einleitung. In G. Reinmann & R. Rhein (Hrsg.), Wissenschaftsdidaktik III. Perspektiven (S. 7-12). Bielefeld: transcript.
Reinmann, G. (2023). Design-Based Research in der Hochschuldidaktik: Forschen für Lehrinnovationen. In R. Rhein & J. Wildt (Hrsg.), Hochschuldidaktik als Wissenschaft. Disziplinäre, interdisziplinäre und transdisziplinäre Perspektiven (S. 269-286). Bielefeld: transcript.
Reinmann, G. (2023). Wozu sind wir hier? Eine wertebasierte Reflexion und Diskussion zu ChatGPT in der Hochschullehre. Unabhängige interdisziplinäre Zeitschrift für das Lehren und Lernen mit digitalen Medien, 4 (2), 2-11.
Reinmann, G. (2023). Design-Based Research als Research Through Design (RTD): Qualitätsstandards für RTD in der Hochschuldidaktik. Educational Design Research, 7 (1), Article 56.
Reinmann, G. (2023). Deskilling durch Künstliche Intelligenz? Potenzielle Kompetenzverluste als Herausforderung für die Hochschuldidaktik. Diskussionspapier. Hochschulforum Digitalisierung.